Was ist Zeit?
Bernhard Wolf ist es mit einfachen Mitteln elegant gelungen, für Aufsehen im Grazer Stadtraum zu sorgen
von Tiz Schaffer
| aus FALTER 36/13
www.falter.at


Bernhard Wolf hat Glück gehabt – er ist Zwischennutzer geworden. Er nutzt also Räumlichkeiten als Atelier, die der Hausbesitzer irgendwann einer anderen Bestimmung zuführen wird. Damit ein Geschäftslokal, wie jenes am Grazer Griesplatz, das Wolf derzeit mit der Musikerin und Grafikerin Monique Fessl teilt, nicht leer steht und zumindest ein wenig Geld einbringt, entschließen sich manche Hausherren für eine günstige Zwischenvermietung an Kreative. Dort am Griesplatz also arbeitet Wolf derzeit an seinem Projekt „In alle Netze“. Der an den Slogan eines Mobilfunkanbieters angekuschelte Titel nimmt Bezug auf eine der zentralen Aussagen der Aktion: Der öffentliche Raum wird überschwemmt mit Grußbotschaften aus der Werbewirtschaft. Und die Politik hält sich ja derzeit auch nicht gerade zurück. Geht es nicht auch anders? Es geht. Und etwas scheint das Projekt zudem von so manch anderen künstlerischen Unternehmungen im öffentlichen Raum zu unterscheiden. Nicht, dass sich Wolf gegen eine fortschreitende Kommerzialisierung richtet – das gehört zum guten Ton. Auch nicht, dass er in seinem Konzept festhält: „Meine Sujets verschieben Sehgewohnheiten.“ Welcher Künstler gibt das nicht gerne zu Protokoll? Vielmehr ist es diese auffällige Unauffälligkeit, die niemanden an Wolfs Motiven – vorwiegend in Schwarz-Weiß gehalten – vorbeilässt, ohne dass er diese zumindest eines kurzen Blicks gewürdigt hat. Angebracht sind die Motive vorerst an solchen Wänden, die erst durch den Abbruch von Bauwerken freigelegt werden. Und die dann wieder, wie auch die Kunst von Wolf, verschwinden werden, wenn neue Häuser nachwachsen. In derartigen Lücken im Stadtgefüge haben manche schon viel drastischer um Aufmerksamkeit gebuhlt, ohne dass sie ihnen zuteil wurde. Obwohl Wolf noch nicht einmal die Hälfte seines Projekts umgesetzt hat – bis Mitte Oktober werden zehn Motive im Grazer Stadtraum angebracht sein, derzeit sind vier zu sehen –, haben nicht nur hiesige Kleinformate, sondern auch der ORF schon davon berichtet. „Da war ich selber überrascht“, sagt er. Auch die als sehr beschwerlich verschrienen Behördenwege für die Genehmigungen waren offenbar leichter zu bewältigen als üblich. Nicht wenige Künstler, so hört man, hätte in den Korridoren der Verwaltung schon ein kafkaesker Schwindel ereilt. „Es brauchte zwar einiges an Papier und auch seine Zeit, aber ich kann mich über den Amtsschimmel nicht beschweren“, sagt Wolf. Von der Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) wurde der 47-jährige Künstler durchgewunken, das im Institut für Kunst im öffentlichen Raum verankerte Projekt wurde zudem auch von der Stadt und dem Bezirksrat Gries mitfinanziert. Und wie lief es mit den Hausbesitzern? „Die musste ich zuerst im Grundbuch ausfindig machen, dann habe ich sie angeschrieben oder bin gleich hingefahren. Es war schon einiges an Diplomatie nötig, die meisten Hausbesitzer aber waren aufgeschlossen und nett.“ Dafür, dass Wolf nach Jahren der künstlerischen Abstinenz mehr oder weniger durch Zufall diese Zeichensetzungen in Angriff genommen hat, ist bislang alles geradezu verdächtig friktionsfrei über die Bühne gegangen. Älteren Semestern ist Bernhard Wolf als Mitglied der in Graz wohlbekannten Künstlervereinigung Fond ein Begriff. Der Fond war ungefähr bis Ende der 1990er-Jahre aktiv. „Silvester 97 auf 98 haben wir jedenfalls noch gemeinsam durchgefeiert“, erinnert sich Wolf, der von 2007 bis 2010 den Künstlerverein Forum Stadtpark geleitet hat. Zudem war der gebürtige Kärntner bis vor zwei Jahren für die Organisation des Homeless World Cups verantwortlich, jenes international ausgetragenen Fußballturniers, bei dem ausschließlich Obdachlose das Leder treten.
Sein eigenes künstlerisches Schaffen hatte Wolf viele Jahre auf Eis gelegt, nach dem Ausstieg beim Homeless World Cup begann er wieder zu malen. Und als das Institut für Kunst im öffentlichen Raum voriges Jahr eigentlich aus einem ganz anderen Grund bei ihm anklopfte – man wollte ihn zu seinen Plakataktionen vor 20 Jahren für eine anstehende Publikation interviewen –, war das für ihn der Anstoß, diese Stadteingriffe unter neuen Vorzeichen wieder aufzunehmen. „Wir haben die alten Plakate ausgepackt und entstaubt, das war sehr amüsant“, erzählt er. Damals hatte er eine Serie mit über 20 Motiven konzipiert, fügte billige A3-Kopien zu A2 zusammen und plakatierte sie wild im öffentlichen Raum. Vier Motive von damals hat er jetzt nochmals aufgegriffen: „Jene, die den Test der Zeit meiner Meinung nach bestanden haben.“
Die künstlerische Umsetzung und Anbringung gingen dieser Tage allerdings um einiges professioneller vonstatten: Die Arbeiten, manche bis zu fünf Meter breit und hoch, wurden in den letzten Monaten entweder unmittelbar als Malerei, mithilfe von Schablonen und wetterfester Farbe, an die Wände gerollt oder gepinselt, oder – wenn es die Beschaffenheit der Hausmauern nicht anders zuließ – als Plakatapplikationen mit einem Spezialkleister affichiert. In einer Höhe, die entweder eine Hebebühne oder ein Gerüst erforderte. Somit sind die Werke mehr oder weniger vor Vandalismus sicher. Und auch die Graffitikünstler, die ja überall hinkommen, wo sie wollen, haben die Wolf’schen Eingriffe in ihrem natürlichen Lebensraum bisher verschont. Noch etwas ist bei der Arbeit von Wolf ein wenig anders, als man es von künstlerischen Werken mitunter gewohnt ist: Sie funktioniert ganz ohne kunsthistorisches Vorwissen, bedarf auch keiner sachverständigen Interpretation. „Ich treffe keine dezidierte Aussagen“, erklärt er, „sondern mache einen Assoziationsraum auf.“ Das gelingt ihm nicht zuletzt deshalb, weil Motivik und die beigestellten Worte oder Wortkombinationen von einer entwaffnenden Einfachheit sind. Sich etwa über ein wurmlochartiges Spiralgebilde in Verbindung mit dem Wort „Zeit“ Gedanken zu machen – da dürfte es tatsächlich in allen Netzen funken. Dennoch hat Wolf viel darüber gegrübelt, wie er seine Sujets entwickeln soll: „Ich habe mich immer wieder gefragt, ob das nicht zu banal, vielleicht doch zu kompliziert, eventuell ganz einfach zu deppert ist?“ Wer nun durch Griesgasse, Fellingergasse, Zweiglgasse oder über den Griesplatz spaziert, wird wohl feststellen: weder noch. Diese noble Zurückhaltung der Arbeiten, die scheinbar so gar nicht am „Aufstand der Zeichen“ teilnehmen, von dem der Philosoph Jean Baudrillard einst im Zusammenhang mit Graffiti sprach, ist der Grund, weshalb sie darin nicht untergehen. Noch etwas kann man lernen: Nicht immer sorgt nur das Kontroversielle für Aufsehen. Manchmal reicht eine dezente Aufforderung zur Kontemplation.
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